Gute Ausbildung braucht gute Berufsschulen!

Welche Rolle spielen die Berufsschulen bei der Ausbildung? Für eine Antwort auf diese Frage wendet man sich am besten direkt an einen Experten: Oliver Schmolinski ist seit vier Jahren Berufsschullehrer, kommt aus Erfurt und hat in Kassel studiert. 2017 ist er nach Bremen gezogen und lehrt hier die Fächer Wirtschaft und Politik. Für unsere Azubi-Kampagne hat er ein paar Fragen für uns beantwortet, aber lest selbst!

Warum hast du dich damals dazu entschieden Berufsschullehrer zu werden?

Zu meiner Schulzeit habe ich oft versucht, meine Noten durch Vorträge zu verbessern. Meine Lehrer*innen haben mir dann das Feedback gegeben, dass ich im Erklären wohl ganz gut wäre. So wuchs im Laufe der Zeit der Berufswunsch Lehrer. Mein Weg zum Berufsschullehramt hingegen ist eher ungewöhnlich: Die meisten Kolleg*innen an Berufsschulen haben selbst eine duale Ausbildung absolviert und in ihrem Ausbildungsberuf gearbeitet. Sie wollten sich nach einiger Zeit weiterentwickeln und haben sich entschlossen, Lehramt für berufliche Schulen zu studieren. Bei mir war es eher der Wunsch, die Fächer Politik sowie Wirtschaft unterrichten zu wollen. Die Fächerkombination ist in vielen Bundesländern an allgemeinbildenden Schulen so nicht möglich. Daher habe ich mich über den Studiengang Wirtschaftspädagogik informiert, wie die akademische Ausbildung zum Berufsschullehrer für Wirtschaft aussieht. Die Studieninhalte fand ich sehr spannend und auch die Folge, dass meine Schüler*innen auch eher älter sind, hatte mich überzeugt, diesen beruflichen Weg zu gehen.

Was unterscheidet die Arbeit an der Berufsschule von der Arbeit an den allgemeinbildenden Schulen? 

Die klassische Berufsschule, damit meine ich den schulischen Anteil einer dualen Ausbildung, unterscheidet vor allem die geringe Stundenzahl an Unterricht in der Schule. Meistens sind die Schüler*innen 1,5-2 Tage die Woche in der Schule, die restliche Zeit dann im Betrieb. Inhaltlich ist der große Unterschied, dass viel Zeit des Unterrichts mittlerweile in Lernfeldern unterricht wird. Eher klassische Fächer wie z.B. BWL wurden abgeschafft und durch handlungsorientierte Einheiten, die in sogenannten Lernfeldern zusammengezogen werden, unterrichtet. So gibt es dann zum Beispiel das Lernfeld “Waren beschaffen und lagern”. In dem Lernfeld sind dann Inhalte von BWL, Informationstechnik, Mathematik und Englisch enthalten. Diese werden mit einem hohen Bezug zur beruflichen Handlung unterricht.

Diesen Ansatz empfinde ich als sehr fortschrittlich. Er überwindet klassisches Fächerdenken und versucht, einen ganzheitlichen Ansatz zu bieten. Diese Umstellung erfolgt momentan an den beruflichen Schulen in Bremen. Dabei leisten viele Kolleg*innen wertvolle und vor allem sehr viel Arbeit und erhalten kaum einen zeitlichen Ausgleich für die Mehrarbeit. 

Was ist die Rolle der Berufsschule im Gegensatz zum Betrieb? Kann man da überhaupt einen Gegensatz aufmachen?

Das ist eine überaus wichtige Frage, deren Bedeutung ich persönlich erst im Studium verstanden habe. Bevor die beruflichen Schulen eingerichtet wurden, erfolgte die Ausbildung oft in Form des Kopierens von Handlungen. Der Meister (hier wähle ich bewusst die männliche Form, es gab weitgehend keine Meisterinnen) machte etwas vor, der Lehrling machte es nach und versuchte so zu lernen. Die Berufsschulen wurden dann gegründet, um die sogenannten Umtriebe der jungen Auszubildenden mit der Sozialdemokratie zu unterbinden. Der Staat wollte auf die jungen Arbeitskräfte mehr Einfluss gewinnen. Aus diesem autoritären Verständnis entwickelte sich jedoch ein System, das aus sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Sicht total sinnvoll ist. 

Die Berufsschule soll dafür sorgen, dass umfassendes und komplexes berufliches Wissen aufgebaut wird. Dadurch soll die Abhängigkeit der Auszubildenden von einem Betrieb abgebaut werden. Früher lernte man, wie die Arbeitsschritte im Ausbildungsbetrieb waren, wenn diese Schritte in anderen Betrieben anders waren, konnte man die Arbeitsstelle nicht einfach wechseln. Es entstand somit ein sehr ungleiches Verhältnis zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in. Heute zeigt der berufliche Abschluss, dass man in der Lage ist seinen Beruf auszuüben, egal in welchem Betrieb. Damit ist das Ungleichverhältnis zwischen Kapital und Arbeit nicht aufgehoben, aber die Machtverhältnisse wurden zumindest etwas angeglichen. Daher ist es wichtig, dass es ergänzend zum Betrieb mit seiner praktischen Ausbildung auch die Berufsschule mit ihrer theoretischen Ausbildung gibt. 

Hast du den Eindruck, dass die Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Berufsschule gut funktioniert?

Soweit ich das überblicke, ja. Im Optimalfall stehen die Betriebe und die Schulen in einem stetigen Austausch. Auch die Funktionen der Kammern und Innungen ist hier nicht zu unterschätzen. Sicherlich besser lief es schon einmal bei der Partizipation der Betriebe bei der Schulentwicklung. Ausbilder*innenbeiräte haben früher wohl eine bessere Teilnahme erlebt. Ich denke jedoch, dass hier nicht unbedingt die Betriebe zu kritisieren sind. Vielmehr zeigt sich, dass die Entdemokratisierung der Schule durch die Beschneidung der Rechte der Mitbestimmungsorgane ihre Wirkung zeigt. 

Was kannst du zu schulischen Ausbildungen sagen?

Schulische Ausbildung wird teilweise als Übergangssystem betrachtet. Die Kritik ist dabei, dass die Abschlüsse kaum anerkannt werden und die Schüler*innen so nur eine begrenzte berufliche Perspektive haben. Diese Sicht teile ich nicht unbedingt. Es gibt viele hochwertige vollschulische Ausbildungen. An meiner Schule werden z.B. biologisch-technische, chemisch-technische und pharmazeutisch-technische Assisten*innen ausgebildet. Die Absolvent*innen sind hochqualifiziert und gefragt am Arbeitsmarkt. Auch Sozialassistent*innen werden vollschulisch ausgebildet und sind vor allem bei Träger*innen von Kindertageseinrichtungen sehr begehrt. Aber es gibt auch Bildungsgänge, an deren Ende oft schwer ein guter Anschluss steht. Das ist schade! 

Ich mache die Erfahrung, dass die Kolleg*innen in den Bildungsgängen tolle Arbeit machen und versuchen, vielen Schüler*innen Perspektiven aufzuzeigen und sie befähigen, sich berufliche Kompetenzen anzueignen. Jedoch fehlt es in den zwei Jahren dann an praktischen Erfahrungen und an Zeit, um die Schüler*innen fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Hier könnte man sicherlich noch nachbessern. 

Inwieweit kann die berufliche Bildung eigentlich überhaupt noch auf eine sich immer schneller verändernde (berufsweltliche) Zukunft vorbereiten?

Das ist eine wirklich große Herausforderung. Berufsbilder verändern sich mittlerweile in wenigen Jahren. Neben der Umstellung auf Lernfelder versucht berufliche Bildung darauf zu reagieren, indem sie einen deutlich größeren Fokus auf Kompetenzentwicklung legt. Kompetenzen bedeutet in diesem Zusammenhang, die Befähigung, (berufliche) Probleme lösen zu können. Dafür braucht es nicht mehr das Auswendiglernen von Wissen. Viel wichtiger ist ein Verständnis für betriebliche Prozesse, die Anwendung von Fachwissen und das Können von beruflichen Fertigkeiten. Es geht also weniger um das “Was” sondern verstärkt um das “Wie”. Vielfach wurde kritisiert, dass so die Fachlichkeit der Ausbildung verloren ginge, aber ich bin davon überzeugt, dass man das “Wie” nur beantworten kann, wenn auch ausreichend fachliches Wissen vorhanden ist. Der Unterricht wird nun durch die Lernfelder verstärkt auf die Kompetenzorientierung fokussiert. Bei den zentralen Abschlussprüfungen ist diese Entwicklung aber nur vereinzelt zu erkennen. Hier gibt es also noch Entwicklungsbedarf.  

Hast du manchmal das Gefühl, dass das Berufsschulwesen von der Politik vergessen wird?

Nein. Zumindest meine Berufsschule ist gut ausgestattet. Die Senatorin war seit meinem Arbeitsbeginn an der Schule durchschnittlich einmal im Jahr da. Wir Lehrkräfte werden anständig bezahlt (wir sind bisher vom Gehalt und der Arbeitszeit den Kolleg*innen der gymnasialen Oberstufe gleichgestellt). Kritisch betrachte ich jedoch zwei Punkte: Zum einen sind berufliche Schulen sehr groß, ihre Leitung besteht aber zumeist nur aus wenigen Personen, neben der/dem Schulleiter*in noch aus zwei bis drei Personen. Das ist zu wenig. In anderen Bundesländern tragen diese Last mehrere Schultern. Meine Ausbildungsschule in Hessen ist z.B. mit der Schule in Bremen vergleichbar gewesen. Wir hatten bei einer ähnlichen Zahl an Lehrkräften und Schüler*innen zwei weitere Schulleitungsmitglieder.

Der zweite Punkt, den ich kritisiere, betrifft weniger die Schule als unsere Schüler*innen. Sie fühlen sich mit ihrer Ausbildung oft nicht ausreichend ernst genommen von der Gesellschaft. Eine Ausbildung in Deutschland ist anspruchsvoll und komplex. Die Bezahlung als Auszubildende*r und später als Fachkraft ist häufig zu niedrig. Auch der Grad der Freiheit im beruflichen Handeln ist oft gering. Hier würde ich mir mehr Anerkennung wünschen. 

Trifft Corona Berufsschulen anders als die anderen Schulen?

Die Berufsschulen sind gleich betroffen, wie alle anderen Schulen. Bei den Auszubildenden sieht das teilweise anders aus. Diese müssen nicht zur Schule, aber dafür zumeist zusätzlich in den Betrieb. Wenn es dann Aufgaben durch Lehrkräfte gibt, nimmt so die Arbeitsbelastung der Auszubildenden zu. Hier müsste es sicherlich deutlichere Vorgaben durch senatorische Behörde, Schulen und Kammern geben. 

Wenn du drei Wünsche übrig hättest, was würdest du dir für dich und deine Schüler*innen wünschen?
  • Der Klassiker momentan: dass Corona und seine daraus resultierenden Folgen überwunden werden!
  • Dass die Schüler*innen und Absolvent*innen von beruflichen Schulen mehr Anerkennung in unserer Gesellschaft erfahren!
  • Und dass wir als Gesellschaft lernen, wie wertvoll unser Berufsbildungssystem für die Arbeitskräfte, die Betriebe und die Gesellschaft an sich ist! Soviel Qualifikation und Partizipation vermitteln die wenigsten berufsorientierten Bildungssysteme auf dieser Welt.

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